
FECHTEN Für den Traum von Olympia zieht das Künzelsauer Säbel-Ass Elisabeth Gette nach Dormagen
Lisa tanzt. Mit Freude bewegt das Mädchen seinen Körper zur Musik. Daran ändert sich auch nichts, als Michael Gäbelein einst in ihrer Grundschule einen anderen Sport vorstellt: Fechten. „Das hat mir gefallen“, sagt Lisa Gette. Sie besucht das Training. Und bleibt dabei. Das Tanzen gibt sie irgendwann auf – und profitiert dennoch weiterhin davon. Die gute Körperbeherrschung, der Rhythmus, die Koordinationsfähigkeiten bringen Vorteile mit der Waffe.
Jetzt, mit 19, zählt Elisabeth Gette, die nicht nur in Fechtkreisen alle Lisa rufen, zu den Besten mit dem Säbel. 2018 gewinnt sie bei der U20-Europameisterschaft in Sotschi Bronze im Einzel, ein Jahr später folgt der Titel mit der Mannschaft. Die junge Frau vom FC Würth Künzelsau wird deutsche Meisterin der Aktiven, gehört dem Perspektivkader des Deutschen Fechterbundes an – und ist Mitglied im Perspektivteam der Sporthilfe Unterland Heilbronn-Hohenlohe für die Olympischen Spiele in Paris 2024. „Das ist eine Ehre“, sagt die Künzelsauerin. Eine enorme Wertschätzung.
Ihr großes Können demonstriert sie bei der Präsentation des neunköpfigen Teams Mitte Oktober in der Aula auf dem Heilbronner Bildungscampus mit ihrer Clubkameradin Julika Funke und zieht sich unglücklicherweise einen Sehnenriss zu. Operation, Trainingspause bis Februar. Lisa Gette nutzt die Zeit für die Reha – und lernt für ihr Abitur.
Unsicherheit Das aber ist erstmal verschoben. Wie durch die Corona-Pandemie noch so vieles andere. Bis Mitte April sind alle Wettkämpfe abgesagt, auch die U20-Weltmeisterschaft. Der Trainingsbetrieb am Stützpunkt in Dormagen, wohin die Hohenloherin im Februar 2019 ins Internat gezogen ist, ist eingestellt. Daher verbringt sie derzeit die Tage zu Hause bei ihren Eltern auf den Taläckern. Lisa Gette sagt ernst: „Ich bin ganz verloren, und ich habe Angst wegen des Abiturs, dass ich alles alleine machen muss.“ Wie geht es weiter? Mit dem Training? Mit der Schule? Viele Fragenzeichen, keine Antworten. Einziger Trost für die 19-Jährige: „Anderen geht es ja genauso.“
Nur: Lisa Gette hat einen sportlichen Traum. „Ich möchte auf jeden Fall Olympiasiegerin werden.“ Idealerweise 2024 in Paris. Im Moment sorgen sich Athleten weltweit jedoch um die Spiele in Tokio im Sommer. Lisa Gette weiß, seit wie vielen Jahren alle auf dieses Großereignis hinarbeiten. Sie spürt eine tiefe Traurigkeit in sich und sagt: „Ich möchte jetzt nicht in ihrer Haut stecken, das ist scheußlich. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie sich das anfühlt und hoffe nur, dass 2024 nicht Ähnliches passiert.“
Lisa Gette gibt sich nachdenklich, bescheiden. Auf der Planche legt sie ihre Zurückhaltung ab, wird zur impulsiven, hoch emotionalen Säbelfechterin. „Ich will immer die Beste sein“, sagt die Frau mit den blonden Haaren, „aber ohne den Sport hätte ich diese Eigenschaft in mir nicht entdeckt.“ Als Athletin geformt hat sie Vadim Shturbabin, mit dem Trainer aus der Ukraine baut sie in Künzelsau über die Jahre und Erfolge eine enge Beziehung auf, sieht ihn wie einen zweiten Vater.
In Dormagen arbeitet Lisa Gette mit Bundestrainer Pierre Guichot. Der Franzose lehrt anders, legt viel Wert auf Präzision, während der einstige Junioren-Bundestrainer Shturbabin auf Kampfgeist setzt. Respektpersonen sind beide, die Umstellung braucht Zeit. Doch je länger Gette Guichot kennt, umso lockerer wird ihr Miteinander.
Der Entschluss, vor etwas mehr als einem Jahr des Sports wegen nach Dormagen zu wechseln, ist für Lisa Gette ein weitreichender gewesen. Weg von der Familie, das machen andere auch. Aber nicht inmitten des Schuljahres. Eine enorme Umstellung. Plötzlich selbstständig leben und dann auch noch ein anderes Schulsystem. Ein Gewöhnungsprozess. „Das hatte ich auf die leichte Schulter genommen“, sagt Lisa Gette offen. Doch es stärkt sie in ihrer Persönlichkeit, macht sie selbstbewusster und stolz. Die Kämpferin Lisa gibt nicht auf, ihr Motto: Geht nicht, gibt es nicht. Auch ihre Eltern lernen, mit der neuen Situation umzugehen. Weil auch ihr Bruder in Stuttgart studiert, sind mit einem Schlag beide Kinder aus dem Haus.
Vorbild Auch Lisa Gette überlegt, idealerweise neben der Bundeswehr zu studieren. Nur die Fachrichtung ist noch ungewiss.
Im Sport liegen die Dinge klarer. Auch dank ihrem Vorbild Olga Kharlan. Über die Säbel-Weltmeisterin sagt Lisa Gette bewundernd: „Wenn sie ficht, sieht das so toll aus und sie ist schon mit 18 Olympiasiegerin gewesen. Von ihr würde ich mir gerne ein Stück abschneiden.“ Immerhin hat sie die Ukrainerin mal kurz gesprochen, und ist besonders von ihrer Bodenständigkeit angetan.
Auch die Künzelsauerin hat Fans. Wie die kleine Schwester ihres Freundes. Sie wünscht sich eine E-Weste von ihr – mit Unterschrift. „Das ist ein Geschenk“, sagt Lisa Gette, „dass mich manche als ihr Vorbild ansehen.“