Neuanfang mit vielen Optionen

Ihre Welt steht nach der Nichtnominierung für Basel und Rio nicht Kopf: Antonia Alicke, hier bei der WM-Qualifikation im Oktober in Stuttgart. Foto: Archiv/dpa

Einfach mal im Garten sitzen. Diese schöne Art der Entspannung hat Antonia Alicke selten. Jetzt, wo noch das Sportabitur ansteht, hetzt die 17-Jährige nicht mehr nur umher. Am liebsten würde die junge Frau aus Talheim bei der letzten großen Prüfung der Schulzeit ihre Barren-Kür turnen. Für sie, Mitglied der Nationalmannschaft, wäre es das simpelste. Ans Gerät gehen, die tausendfach automatisierten Bewegungen mit den komplexen Griffen und schwierigen Elementen abspulen – fertig. Doch so wird es nicht kommen.

Manchmal wird Antonia Alicke gefragt, ob sie auch einen Salto beherrsche. Weit mehr. Und doch zu wenig. Als die Top sieben von Deutschlands Turnerinnen zur zweiten Qualifikation eingeladen worden sind, hat der Name von Antonia Alicke gefehlt. „Das war schon ziemlich hart“, sagt sie. Die noch bis Sonntag laufenden Europameisterschaften in Basel hat sie verpasst, obendrein die Hoffnung auf mehr. Doch die Turnerin, die in der TG Böckingen groß geworden ist, kennt ihren Körper, weiß auch um ihre Verletzungsprobleme. Seit mehr als einem halben Jahr steht Alickes Schultergelenk falsch, ist ständig gereizt. Die Folgen: Kein turnen am Barren, viel Physiotherapie und Mobilisation.

Auf eigene Kosten Selbstkritisch sagt Antonia Alicke auch: „Ich habe mir selbst Druck gemacht und es nicht so hingekriegt, wie ich es wollte.“ Ihre Trainerin am Stützpunkt in Stuttgart, Marie-Luise Probst-Hindermann, hat mit ihr gesprochen, Bundestrainerin Ulla Koch hat ihr in einem langen Text eine zweite Qualifikation auf eigene Kosten angeboten. Die Unterländerin entscheidet sich für einen internationalen Start in St. Petersburg, siegt dort am Barren. „Es lief nach dem Leistungsprinzip ab und war fair“, sagt Antonia Alicke.

Sie kartet nicht nach. Sie sieht inzwischen sogar die kleinen Vorteile. „Klar wäre es cool, die EM zu turnen. Aber es ist auch cool, stattdessen auf einen Geburtstag gehen zu können“, sagt Antonia Alicke. Obendrein heißt der verpasste Start in Basel auch, das praktische Sport-Abi nicht nachmachen zu müssen und im Anschluss an das harte Training sich schlicht mal auf dem Sofa ausruhen zu dürfen.

Die deutschen Meisterschaften in Hamburg Ende des Monats wird sie mitnehmen. Aber keinen Druck verspüren, sich für Olympia qualifizieren zu müssen. Spaß haben. Einen guten Wettkampf zeigen. Das sind Antonia Alickes Ziele. Die Sommerspiele in Rio de Janeiro wird sie im Fernsehen verfolgen. Nebenbei ihren Führerschein machen – und sich auf den nächsten Lebensabschnitt vorbereiten.

Im Dezember geht es nach Amerika. Am zweiten Weihnachtsfeiertag. Chicago. Dank eines Stipendiums turnt Antonia Alicke dann für ein College und studiert. Am liebsten Psychologie. Giulia Hindermann, eine von drei Töchtern ihrer Trainerin, ist vor ihr dort gewesen. Lange hat Antonia Alicke gegrübelt, Ängste gespürt, die Entscheidung hinausgezögert. Jetzt freut sie sich und sagt: „Ich finde die Vorstellung ganz cool, dort ein etwas anderes Leben zu führen.“

Die USA, das Land der Turn-Enthusiasten. „Dort zählt Teamgeist“, sagt die von der Sporthilfe Unterland geförderte Athletin, „da ist es wie bei Harry Potter. Alle kommen zum Wettkampf und feuern einen an. Die Leistungsstärke ist wie hier auch.“ Es wird kein Karriereende. Es wird ein Neuanfang. Einer, der alle Optionen offen lässt. Auch internationale Starts für Deutschland sind nicht ausgeschlossen.

Viel Pendelei Seit sechs Jahren turnt Antonia Alicke bei Marie-Luise Probst-Hindermann in Stuttgart. Eine intensive Zeit mit viel Pendelei und noch mehr Einheiten. „Sie sieht mir am Gesicht an, welche Gedanken ich habe“, sagt Alicke über ihre Trainerin. Sie sind ein eingespieltes Team.

In Amerika wird sich Peter Jensen um die Neue aus Germany kümmern. Mit dem Schweden hat sie schon geskyped, auch E-Mails schicken sie sich. „Es werden andere Einflüsse von Trainern kommen“, sagt Antonia Alicke, „die Routine in Stuttgart ist gut, aber ich bin auch für neue Impulse in alle Richtungen offen.“